Kapitel 3
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In diesem Kapitel soll die Geschichte von LSD beschrieben werden. Obwohl LSD noch ein relativ junges Produkt der Forschungen in der chemischen Industrie ist, gehen die Erfahrungen mit den Stoffen, aus denen LSD synthetisiert wird, weiter zurück. Und schon vor der eigentlichen Entdeckung von LSD spielten diese Naturstoffe aufgrund ihrer Wirkung auf den menschlichen Körper eine wichtige Rolle.
Erstmals tritt das Mutterkorn im frühen Mittelalter als Ursache epidemieartiger Massenvergiftungen ins Blickfeld der Geschichte. Der Mutterkornvergiftung fielen tausende Menschen zum Opfer. Die Krankheit, deren Ursache (die Pilze im konsumierten Brot) erst spät erkannt wurde, trat in zwei charakteristischen Formen auf: Brandseuche (Ergotismus gangraenosus) und Krampfseuche (Ergotismus convulsivus). Sie wurde auch als Ignis sacer (Heiliges Feuer), Gottesrache, Antonius-Feuer oder St.-Martialis-Feuer bezeichnet. Der Schutzheilige der Mutterkornkranken war der heilige Antonius und die Mitglieder des Ordens der Antoniter nahmen sich der Pflege der erkrankten Menschen an.
Bis in die Neuzeit hinein waren epidemieartige Ausbrüche der Mutterkornvergiftungen in einigen europäischen Ländern und Gebieten Russlands zu verzeichnen. Die letzte große Epidemie trat in den Jahren 1926/27 in Südrussland auf.
Die erste Erwähnung einer zielgerichteten medizinischen Anwendung des Mutterkornes findet sich in einem Kräuterbuch des Frankfurter Stadtarztes Adam Lonitzer Lonicerus im Jahre 1582, von ihm wurde es als Wehenmittel beschrieben. Von Hebammen wurde es schon lange vorher eingesetzt.
1908 fand das Mutterkorn durch die Arbeit des amerikanischen Arztes John Stearns "Account of the pulvis parturiens, a Remedy for Quickening Child-birth" Anerkennung durch die Schulmedizin.
Mutterkorn wurde aufgrund der hohen Gefahr für das ungeborene Kind (aufgrund von Uteruskontraktionen) nur für die Stillung von Nachgeburtsblutungen genutzt. Nach der Aufnahme in zahlreiche Arzneibücher im 19. Jahrhundert setzten auch bald erste chemische Arbeiten an der Isolierung des Wirkstoffes ein. Erst nach hundert Jahren vergeblicher Arbeit wurde 1907 das uneinheitliche Alkaloidpräparat "Ergotoxin" isoliert, es wies jedoch mehr die toxischen als die gewünschten therapeutischen Merkmale auf.
Durch Arthur Stoll wurde 1918 zum ersten mal ein einheitliches Alkaloid aus dem Mutterkorn gewonnen, das Ergotamin. Dieses zeigte überwiegend die therapeutischen Eigenschaften des Mutterkorns und war aus dem Ergotoxin gewonnen worden. Obwohl dieses Präparat als blutstillendes Mittel der Gebärmutter und als Medikament zur Behandlung von Migräne eine wichtige Rolle unter den Arzneimitteln einnahm, wurde die Arbeit am Mutterkorn selbst mit der gelungenen Extrahierung von Ergotamin eingestellt.
Anfang der dreißiger Jahre wurde die Arbeit am Mutterkorn in amerikanischen Laboratorien wieder aufgenommen und man gelangte in eine neue Phase der Forschungen. W.A Jacobs und L.C. Craig vom Rockefeller Institute in New York gelang es durch chemische Spaltungen den gemeinsamen Grundbaustein aller Alkaloide des Mutterkorns zu bestimmen. Sie nannten ihn Lysergsäure (lysergic acid). Später gelang es, den spezifischen, auf die Gebärmutter wirkenden Wirkstoff zu isolieren, er erhielt die Bezeichnung "Ergobasin".
Albert Hoffmann trat 1929 nach Abschluss seines Chemiestudiums an der Universität Zürich 1929 in das pharmazeutisch-chemische Forschungslaboratorium der Firma Sandoz unter der Leitung von Professor Dr. Arthur Stoll ein. Er wählte diese Arbeitsstätte, weil er die Möglichkeit hatte, mit Naturstoffen zu experimentieren. Nach seiner Arbeit an den herzaktiven Glykosiden aus der Meerzwiebel (Scilla maritima) und dem Fingerhut (Digitalis) wandte er sich 1935 der Arbeit am Mutterkorn zu.
Hoffmann erweckte damit die Arbeit am Mutterkorn wieder zum Leben. Seine erste Aufgabe bestand darin, die therapeutisch nutzbaren Wirkstoffe Ergobasin aus Lysergsäure und Propanolamin partiell zu synthetisieren. Diese Synthese galt als Bestätigung für den Aufbau des Ergobasins und ermöglichte die Umwandlung der im Mutterkorn vorhandenen Alkaloide in das in geringerer Konzentration vorhandene Ergobasin. Seine Forschungen führte Hoffmann in zwei Richtungen weiter; einerseits versuchte er, die medizinischen Eigenschaften des Ergobasins durch Variationen des Aminalkohol-Anteils zu verbessern, andererseits setzte er seine Synthesemethode ein, um neue Lysergsäure-Verbindungen zu gewinnen. Dabei stand nicht mehr die blutstillende Wirkung auf die Gebärmutter im Vordergrund, sondern die aufgrund der chemischen Struktur vorhersagbaren pharmakologischen Effekte.
Die 25. Substanz in der Reihe der synthetischen Lysergsäure-Verbindungen, das Lysergsäurediethylamid, abgekürzt LSD-25, wurde von Albert Hoffmann 1938 zum ersten Mal synthetisiert. Er hatte beabsichtigt, mit dieser Substanz ein Mittel zu entwickeln, das auf Atmung und Kreislauf wirkt. Diese Wirkung wurde von ihm vorhergesagt, da es dem schon bekannten Nicotinsäurediethylamid chemisch sehr nahe steht.
Bei der Prüfung von LSD-25 in der pharmakologischen Abteilung von Sandoz wurde eine starke Wirkung auf die Gebärmutter festgestellt, außerdem bemerkte der Leiter der Abteilung, dass die Versuchstiere während der Narkose sehr unruhig waren. Die Substanz erschien pharmakologisch uninteressant, weitere Prüfungen wurden unterlassen und es wurde nicht weiter erforscht.
Nach erfolgreicher Arbeit an anderen Lysergsäure-Abkömmlingen wiederholte Albert Hoffmann 1943 die Synthese von LSD-25, es handelte sich um einige Zehntelgramm der reinen Verbindung. In der Schlussphase der Synthese, bei der Reinigung und Kristallisation des Lysergsäurediethylamids wurde Albert Hoffmann durch ungewöhnliche Empfindungen gestört. Einem Bericht an den Institutsleiter Professor Dr. Stoll ist die von Albert Hoffmann am eigenen Leib erlebte halluzinogene Wirkung von LSD-25 zu entnehmen: "...musste ich mitten am Nachmittag meine Arbeit im Laboratorium unterbrechen und mich nach Hause begeben, da ich von einer merkwürdigen Unruhe, verbunden mit einem leichten Schwindelgefühl, befallen wurde. Zu Hause legte ich mich nieder und versank in einen nicht unangenehmen rauschartigen Zustand, der sich durch eine äußert rege Phantasie kennzeichnete. Im Dämmerzustand bei geschlossenen Augen – das Tageslicht empfand ich als unangenehm grell – wirkten dagegen ununterbrochen phantastische Bilder von außerordentlicher Plastizität und mit intensivem, kaleidoskopartigem Farbenspiel auf mich ein. Nach zwei Stunden verflüchtigte sich der Zustand."
Er war der erste Mensch, der einen LSD-Rausch erlebte und vermutete sofort einen Zusammenhang zwischen LSD-25 und den für ihn merkwürdigen und vorerst unerklärlichen Symptomen. Hoffmann konnte sich nicht vorstellen, wie die Substanz in seinen Körper gelangen konnte, da er sauberes Arbeiten mit den hochgiftigen Mutterkornsubstanzen gewohnt war. Er schloss daraus, dass die Substanz schon in kleinsten Mengen hochwirksam sein musste.
Hoffmann entschloss sich daraufhin zu einem zweiten, diesmal beabsichtigten Selbstversuch. Er wollte mit der, verglichen mit der Wirksamkeit der anderen aus dem Mutterkorn extrahierten Substanzen, kleinsten Menge beginnen. Er entschloss sich dazu, mit 0,25mg LSD-25 zu beginnen. Den letzten Eintrag in sein Protokoll konnte er nur noch mit Mühe vornehmen, die Wirkungen waren wie bei seiner letzten Exposition, jedoch von größerer Intensität. Das erste einleitende Zitat vor dem Inhaltsverzeichnis greift auf die bei diesem Versuch von Hoffmann gemachten Erfahrungen zurück. Die extreme Wirkung von LSD bei diesem Selbstversuch zeigte, dass es sich bei Lysergsäurediethylamid (LSD-25) tatsächlich um einen hochwirksamen psychoaktiven Stoff handelte. Hoffmann selbst war noch keine andere Substanz bekannt, die in so geringer Dosierung solch dramatische Veränderungen des Bewusstseins hervorrief. Und bis heute gibt es keine andere, in ähnlicher Weise wirkende stärkere Substanz.
Hoffmann war sich im klaren darüber, dass dieser neuentdeckte Stoff insbesondere in der Psychiatrie, aber auch in der Pharmakologie und in der Neurologie von hohem Nutzen sein müsse. Er war sich jedoch nicht darüber bewusst, dass LSD sich auch außerhalb des medizinischen Bereichs, bei sogenannten "Laiengruppen" und in der Drogenszene etablieren sollte.
Professor Rothlin, der Leiter der pharmakologischen Abteilung und zwei seiner Mitarbeiter waren die ersten, die einen weiteren Selbstversuch mit LSD-25 vornahmen. Sie verwendeten nur ein Drittel der von Hoffmann exponierten Menge und trotzdem war die Wirkung ebenso stark, jedoch von kürzerer Dauer. Alle möglichen Zweifel an der Wirksamkeit von Lysergsäurediethylamid waren damit aus der Welt geschafft.
Delysid |
Nach der Entdeckung der außergewöhnlichen Wirkung wurde die Arbeit an LSD-25 wieder aufgenommen. Sie wurden in der unter der Leitung von Professor Rothlin stehenden pharmakologischen Abteilung von Sandoz von Dr. Aurelio Corletti fortgeführt. Bevor die Wirksubstanz am Menschen in systematischen Versuchen auf ihre Wirksamkeit überprüft werden durfte, mussten Tierversuche Aufschluss über Wirkung und Nebenwirkung, über Aufnahme und Ausscheidung sowie Verträglichkeit und Giftigkeit geben.
Man kam zu dem Ergebnis, dass die Wirkung von LSD sich vor allem in den Bereichen der höheren und höchsten geistigen Funktionen entfaltet, so ist es zu verstehen, dass nur bei höheren Arten mit entsprechend komplexen Nervensystemen psychische Reaktionen auf LSD zu erwarten sind. Massive psychische Störungen, die das Verhalten der Versuchstiere beeinflussen, konnten beobachtet werden. Dazu waren Dosen notwendig, die weit über der für den Menschen notwendigen und angebrachten Dosis liegen.
Während bei Mäusen nur Bewegungsstörungen zu beobachten waren, beobachtete man bei einer Katze neben vegetativen Veränderungen (gesträubtes Fell und Speichelfluss) auch Anzeichen auf Halluzinationen. Sie zeigte zum Beispiel Angst vor einer Maus und starrte ängstlich in die Luft. Auch bei Hunden waren Anzeichen auf Halluzinationen zu erkennen. Eine Käfiggemeinschaft von Schimpansen reagierte äußerst empfindlich, als einem Tier LSD verabreicht wurde. Dem Tier war es nicht mehr möglich, die feste hierarchische Ordnung und die damit verbundenen Regeln einzuhalten, was Unruhe verursachte. Bei Spinnen war eine Veränderung des Netzbaus und bei Fischen waren abnorme Schwimmstellungen zu beobachten.
Die ersten Versuche am Menschen wurden 1947 durch Dr. med. Werner Stoll, einem Sohn von Professor Stoll an der psychiatrischen Klinik der Universität Zürich durchgeführt. Die Untersuchungen wurden an gesunden sowie schizophrenen Patienten vorgenommen. Albert Hoffmann benutzte bei seinem Selbstversuch 0,25 mg LSD, bei dieser klinischen Untersuchung wurden Dosen zwischen 0,02 mg und 0,13 mg eingesetzt. Die Ergebnisse beschrieben nahezu alle heute bekannten halluzinogenen Erscheinungen, die Frage nach einer therapeutischen Nutzen wurde jedoch offen gelassen. Auf die psychischen Wirkungen wird im weiteren Verlauf der Arbeit eingegangen.
Sandoz produzierte den Wirkstoff LSD-25 unter der von Albert Hoffmann vorgeschlagenen Markenbezeichnung "Delysid" (D-Lysergsäurediethylamid) und stellte ihn Forschungseinrichtungen und Ärzten zur Verfügung (siehe Abbildung links).
psychedelische Kunst |
Albert Hoffmann nennt sein Buch über seine bahnbrechendste Entdeckung im Laufe seiner Karriere nicht ohne Grund "LSD – Mein Sorgenkind". Dieser mit einem negativen Beigeschmack versehene Titel ist zurückzuführen auf den in den sechziger Jahren immer weiter zunehmendenden Missbrauch von LSD zu nichtmedizinischen Zwecken und den damit verbundenen (tragischen) Unglücken. Er war der Ansicht, dass Geisteswissenschaftler, Künstler und Schriftsteller sich für LSD interessieren würden, er erwartete jedoch nicht, dass LSD in "Laiengruppen" Anwendung finden würde. Und tatsächlich wurden zuerst LSD-Sitzungen in eben genannten Kreisen durchgeführt. 1968 (USA) bzw.1969 (BRD) wurden Bildbände mit dem Titel "psychedelische Kunst" ("psychedelic art") publiziert. Diese meist farbenfrohen, mit einem hohen Maße an Formen versehenen Bilder sind als Psychogramm der berauschten Personen zu verstehen.
Der sich rasch verbreitende Rauschgiftkonsum, der in den fünfziger Jahren rasch zunahm, war nicht nur auf die Entdeckung von LSD zurückzuführen, sondern auch auf die soziologische und gesellschaftliche Situation der damaligen Zeit. Durch Berichte über die Erfahrungen mit LSD in viel gelesenen Zeitschriften und Zeitungen wuchs die Popularität von LSD schnell ins nahezu Unendliche. Der stetig zunehmende nichtmedizinische Konsum von LSD war ebenfalls darauf zurückzuführen, dass in den gesetzlichen Bestimmungen LSD (noch) nicht als Rauschgift angesehen wurde (vgl. VII). Ebenfalls erloschen 1963 die Patente für die alleinige Herstellung von LSD, die bis dahin Sandoz innehatte und damit die Kontrolle über die Herstellung von LSD besaß.
Für die Angestellten der pharmakologischen Abteilung von Sandoz wurde LSD bald zu einem Hinderungsgrund bei ihrer normalen Arbeit. Sie erhielten Anfragen aus aller Welt; wie LSD zu bestimmen sei, ob ein bestimmter Unglücksfall auf LSD-Konsum zurückzuführen sei und viele weitere Anfragen.
1964-1966 herrschte eine wahre LSD-Hysterie, die Popularität war hoch, es wurde nahezu pausenlos über ungewöhnliche Erfahrungen und Unglücksfälle (Mord, Selbstmord) in Verbindung mit LSD berichtet. Im April 1966 sperrte Sandoz die weltweite Abgabe zu Forschungszwecken (vgl. VI.C.1). Erst als in vielen Staaten strenge Bestimmungen über Besitz, Verteilung und Verwendung von LSD erlassen worden waren, wurde LSD-25 wieder an verschiedene Untersuchungsstellen unter strenger Kontrolle ausgegeben.
Die Popularität von LSD hat im Laufe der Jahre wieder abgenommen, einerseits wurden die Rauschgiftbesitzer vertrauter und vorsichtiger und die Anzahl der Unglücksfälle verringerte sich dramatisch. Andererseits behielt LSD nicht die Rolle des am meist genutzten Rauschmittels, diese erlangten Haschisch, Heroin, Kokain und Amphetamin (vgl. V.K).