(IV) Transmittersubstanzen, Rezeptoren und Verhalten

Für die Beschreibung der Wirkung von Lysergsäurediethylamid ist es unerlässlich, zuerst die Mechanismen zu kennen, auf die es wirkt. Daher sollen in diesem Kapitel diese Mechanismen in ihrer Funktion und Bedeutung beschrieben werden, wie sie im "Normalzustand", also wenn sie nicht unter LSD-Einfluss stehen, funktionieren.

Die Frage nach einem genauen Wirkort von LSD kann hier schon grob beantwortet werden, um die Bedeutung dieses Kapitels hervorzuheben: Als Halluzinogen wirkt LSD auf bestimmte Mechanismen und Systeme des Zentralnervensystems, genauer gesagt wirkt es auf das Transmittersystem von Serotonin, dessen Neuronen (serotoninerge Neuronen) in bestimmten Teilen des Gehirns zu finden sind. Neben diesem wichtigsten Ansatzpunkt sind weitere zu finden: LSD beeinflusst auch Rezeptoren für Histamin, Acetylcholin, Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin. Für eine komplette Aufstellung aller dieser Systeme verweise ich auf das Buch "Physiologie des Menschen", hier werde ich das darin enthaltene Wissen nicht zusammenfassen können. Da aber die genannten Systeme eher eine periphere Rolle spielen, werde ich mich vor allem auf die Beschreibung des serotoninergen Systems beschränken und Teile der anderen Systeme nur genauer beschreiben, wenn es unbedingt notwendig und zweckmäßig ist.

Im Aufbau des Kapitels ist zuerst eine allgemeine Übersicht über die Anatomie des Gehirns vorgesehen, dann folgt die Beschreibung der allgemeinen Eigenschaften von Serotonin sowie seiner Rezeptoren. Über diese Aufstellung gelangt man dann zu den Abschnitten des Gehirns, in denen der Wirkungsmechanismus von LSD anzusetzen ist. Diese Abschnitte des Gehirns, ihre Funktion, ihre Wirkungsweise in bezug auf die Transmittersubstanz, ihre Bedeutung für den Gesamtorganismus sowie ihr Einfluss auf das menschliche Verhalten werden detailliert beschrieben.

(IV.A) Allgemeiner Aufbau des Gehirns

 

Mediansagittalschnitt durch das Gehirn, Blick auf die mediale Fläche der linken Großhirnhälfte
Mediansagittalschnitt durch das Gehirn, Blick auf die mediale Fläche der linken Großhirnhälfte

Diese Beschreibung der Anatomie des Gehirnes dient zur Begriffsbestimmung und zur allgemeinen Erläuterung der wichtigsten Hierarchien im Zentralnervensystem eines Menschen. Die anatomischen, meist lateinischen oder griechischen Bezeichnungen stehen hier in Verbindung mit ihrem deutschen Äquivalent, in den folgenden Texten und den Abbildungen werden bevorzugt diese anatomischen Bezeichnungen verwandt. Wenn Begriffe im Folgenden unklar sein sollten, kann dieser Textabschnitt zu Rate gezogen werden. Darüber hinaus befindet sich am Ende der Arbeit im Anhang ein Glossar, in dem die anatomischen Bezeichnungen aufgeführt und erklärt werden.

Die zahlreichen (nahezu unendlich vielen) Verbindungen (vgl. zweites Eingangszitat vor dem Inhaltsverzeichnis) zwischen den einzelnen Organen werden hier nicht genauer erläutert, in den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten Verschaltungen aufgeführt, da diese für die Bedeutung und Wirkungsweisen von Serotonin bzw. LSD eine nicht zu verachtende Rolle spielen.

Das gesamte Gehirn lässt sich in fünf große Abschnitte unterteilen, in das Stammhirn, das Zwischenhirn (Diencephalon), das Kleinhirn (Cerebellum) mit der Kleinhirnrinde und das Großhirn (Telencephalon) mit der Großhirnrinde (Cortex). Das Stammhirn lässt sich selbst wieder in drei Teile unterteilen, und zwar in das verlängerte Rückenmark (Medulla oblongata), das Brückenhirn (Pons) und das Mittelhirn (Mesencephalon). Nach unten hin geht das Stammhirn in das Rückenmark (Medulla spinalis) und nach oben hin in das Diencephalon über. Wichtige Organe des Diencephalons sind Thalamus, Hypothalamus und Hypophyse. Sie sind teilweise eng mit Teilen des Stammhirnes und dem Großhirn verbunden. Das Cerebellum befindet sich auf der Höhe des Mesencephalons und hat eine komplex aufgebaute, gefaltete Rinde, die aus sechs Schichten besteht.

Der Teil des Telencephalons, der die unterhalb der Großhirnrinde (Cortex) liegenden (subcorticalen) Abschnitte des Großhirnes umfasst, wird limbisches System genannt. Der Cortex ist die äußerste Schicht des Gehirnes und hat eine Fläche von circa 2000cm² und ist gleichzeitig sehr dünn, vielfach gefaltet und ähnlich komplex aufgebaut wie die Kleinhirnrinde. Mehr als 90% der Großhirnrinde sind ähnlich aufgebaut, diese Abschnitte werden als Neocortex oder Isocortex bezeichnet. Aufgrund klar abgrenzbarer Unterschiede in der Architektur lässt sich die Großhirnrinde in 50 verschiedene Felder einteilen (nach Brodmann). Diese Unterteilung deckt sich größtenteils mit den unterschiedlichen Funktionen, die dem Feld bzw. den Feldern (einer Region, einer Area) zugeordnet werden können. Diese Funktionen umfassen die Sinneswahrnehmung (sensorischer Cortex) und die Sprache sowie die Motorik (motorischer Cortex) des gesamten Körpers. Außerdem gibt es viele unspezifische Regionen, sie nehmen den größten Teil des Cortex ein. Dabei ist das Stirnhirn (Lobus frontalis, präfrontaler Cortex) ausschließlich mit unspezifischen Areas besetzt.

Neben dieser, aufgrund anatomischer Unterschiede vorgenommenen Unterteilung lässt sich das Gehirn auch in bezug auf seine Bedeutung und Funktion für den Gesamtorganismus unterteilen. Hier lässt sich unterscheiden zwischen dem vegetativen Nervensystem, es ist der direkten, willkürlichen Kontrolle entzogen und regelt die Vorgänge im Körper autonom, wird deshalb auch unwillkürliches oder autonomes Nervensystem genannt. Dieses lässt sich klar vom anderen Teil, dem somatischen Nervensystem abgrenzen, welches für die Kommunikation mit der Umwelt in beide Richtungen (efferent und afferent) verantwortlich ist und zum Großteil dem Bewusstsein und damit der willkürlichen Kontrolle unterliegt. Diese beiden Nervensysteme arbeiten parallel, vor allem im Hirnstamm sind sie anatomisch voneinander nicht zu unterscheiden, jedoch sind sie in der Peripherie klar voneinander abgrenzbar.

 

Schema der hierarchischen Ordnung des vegetativen Nervensystems
Schema der hierarchischen Ordnung des vegetativen Nervensystems

Das vegetative Nervensystem unterliegt einem System der Hierarchie. Das wesentliche an dieser Organisationsform ist, dass die niedrigste Organisationsebene nicht außer Kraft gesetzt wird, sondern in ihr enthalten ist. Jede Funktionsebene schränkt die Freiheitsgrade der jeweiligen unteren Ebenen ein; die Komplexität nimmt dementsprechend von unten nach oben zu. Dabei nimmt die Adaptionsfähigkeit des Systems an die Bedingungen der Umwelt von unten nach oben zu. Diese hierarchische Ordnung des Nervensystems ist eng verzahnt mit dem somato-motorischen System und kann auch auf höheren Ebenen nicht mehr klar getrennt werden.

Man unterscheidet zwei verschiedene Teile des peripheren Nervensystems, den Sympathicus und den Parasympathicus. Ihre Ursprünge aus dem Rückenmark sind verschieden, der Sympathicus entspringt dem Brust- und dem oberen Teil des Lendenmarks, der Parasympathicus dem Hirnstamm und dem Sacralmark. Die Erfolgsorgane des Sympathicus sind glatte Muskeln aller Organe, das Herz und die Drüsen. Die Erfolgsorgane des Parasympathicus sind die glatten Muskeln und die Drüsen des Magen-Darm-Traktes, der Sexualorgane und der Lunge ebenso wie die Vorhöfe des Herzens, die Tränen- und Speicheldrüsen und die inneren Augenmuskeln. Er beeinflusst (innerviert) dahingegen nicht die Muskeln der Gefäßmuskulatur.

Eine besondere Bedeutung kommt im vegetativen Nervensystem dem Hypothalamus und der Hypophyse zu (vgl. IV.C.3). Ebenso wie diese Organe gehört das limbische System zum vegetativen Nervensystem (vgl. IV.C.4). Insgesamt gesehen ist das vegetative Nervensystem verantwortlich für

Diese Aufzählung gibt die schon genannte Hierarchie innerhalb des vegetativen Nervensystems wieder (Abbildung vorherige Seite, rechts)

In der höchsten Ebene des vegetativen Nervensystems findet dann auch die willkürliche, also bewusste Verarbeitung von Informationen statt, ein Zusammenspiel von corticalen und subcorticalen Strukturen ist für die Entstehung des menschlichen Bewusstseins unerlässlich. Eine wichtige Rolle kommt dem Telencephalon ebenfalls bei der dauerhaften Speicherung von Informationen (Gedächtnis) zu (vgl. IV.C.4).

Eine besondere Bedeutung kommt bei der Betrachtung der Wirkung von LSD den Sinnesorganen, ihren Nerven und deren Verschaltungen im Zentralnervensystem zu. Es gibt einen für die Sinnesfortleitung (fast) aller Sinnesorgane gleichen Weg der Verschaltung: die primären Afferenzen bilden die synaptischen Kontakte mit Neuronen im Zentralnervensystem, den sekundären sensorischen Neuronen. Von diesen gehen gebündelte sensorische Bahnen aus zu höheren Neuronengruppen im Thalamus (vgl. IV.C.2) und dann zum sensorischen Cortex (spezifische Projektion). Neben dieser direkten, aus vier Neuronen bestehenden Kette gibt es in allen Sinnessystem noch weitere Verbindungen zu anderen, höheren Hirnregionen (unspezifische Projektionen). Dieses Grundschema findet sich in allen Sinnessystemen wieder, außer im Riechsystem, das aus entwicklungsgeschichtlichen Gründen nicht diesen Weg der Verschaltung geht. Dabei wird jeweils in der gegenüberliegenden Hirnhälfte die Information der contralateralen (gegenüberliegenden) Körperhälfte verarbeitet (Reziproke Verarbeitung). Diese Art der Verarbeitung kommt durch die Überkreuzung der primären oder sekundären Bahnen, wie z.B. im Chiasma opticum, der Überkreuzung der beiden Sehnerven, zustande. Von größter Bedeutung für die Sinnesverarbeitung sind die Projektionen auf den (sensorischen) Cortex. Für jede Sinnesmodalität sind im Thalamus spezifische Projektionskerne und auf dem Cortex spezifische rezeptive Felder vorhanden. Auch gibt es nicht nur beim Auge eine Art neurophysiologischen "Simultankontrast" (on/off- Zentren); wenn ein bestimmtes Feld gereizt wird, findet in den umgebenden Neuronen eine Hemmung statt. Die rezeptiven Felder des Cortex bilden eine Art äquivalent des tatsächlichen Sinnesorgans, sodass Nachbarschaftsverhältnisse erhalten bleiben (Somatotopie).

(IV.B) Die Erregersubstanz Serotonin im menschlichen Organismus

Nachdem diese wichtigsten, allgemeinen Informationen über die Anatomie des Gehirns gegeben wurden, erläutere ich jetzt die Mechanismen des serotoninergen Systems. Ich beschränke damit die weitere Beschreibung des Zentralnervensystems auf die für die Erklärung der Wirkung von LSD relevanten Abschnitte, also die Abschnitte, in denen auch Serotonin eine Bedeutung hat.

(B.1) Transmittersubstanzen und pharmakologischer Antagonismus

Ein Typ von Neurotransmitter sind die andrenergen Überträgersubstanzen. Zu ihnen gehören Adrenalin, Noradrenalin und deren Vorstufe Dopamin. Zusammenfassend werden diese Überträgersubstanzen als Catecholamine (eng. für Brenzkatechin) bezeichnet und bilden zusammen mit Serotonin (5-Hydroxytryptamin oder 5-HT) die Gruppe der Monoamine.

Serotonin hat zum Beispiel die Hemmstoffe Dibenzylin und Morphin. Diese sind (kompetitive) Antagonisten für Serotonin. Kompetitive Antagonisten sind Hemmstoffe, die an dem wirkstoffspezifischen Rezeptor gebunden werden, sie konkurrieren mit dem physiologischen Wirkstoff (Agonist) und verhindern die Entfaltung dessen Wirkung. Oft haben diese kompetitiven Antagonisten die Eigenschaften eines partiellen Wirkstoffes, sie werden also wie der eigentliche Wirkstoff am Rezeptor gebunden und entfalten dort nur eine Teilwirkung. Diese partiellen Wirkstoffe erreichen nicht die volle Wirkungsstärke des eigentlichen Wirkstoffs (des Agonisten). Diese kompetitiven Antagonisten haben immer eine Ähnlichkeit wenigstens mit wichtigen Teilen der chemischen Struktur der Agonisten. Charakteristisch für die kompetitive Hemmung ist, dass sie durch eine Erhöhung der Dosis des Agonisten aufgehoben werden kann.

Synthese, Struktur und Analyse von Serotonin (5-HT)
Synthese, Struktur und Analyse von Serotonin (5-HT)

(B.2) Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5-HT)

(B.2.i) Synthese und allgemeine Wirkung

Serotonin (5-HT) wird im Körper durch die Hydroxylierung und Decarboxylierung der essentiellen

Aminosäure Tryptopan gebildet. Die Wirkung von Serotonin auf den Kreislauf ist sehr komplex, sie hängt sehr von Spezies, vegetativem Tonus (Schlaf- oder Wachzustand), sowie von der Konzentration im Organismus und weiteren vielfältigen, komplexen Faktoren ab. Eine sehr ausgeprägte Wirkung hat Serotonin auf den kleinen Kreislauf, also die Lungengefäße, dort hat es eine blutdrucksteigernde Wirkung. Dennoch sind die Ergebnisse von Untersuchungen sehr widersprüchlich, einerseits bewirken hohe Dosen einen Anstieg des systolischen und diastolischen Drucks, andererseits wirkte es bei Hochdruckpatienten in kleinen Dosen blutdruckverringernd.

(B.2.ii) Serotonin (5-HT)-Rezeptoren

Reaktionsketten von cAMP und IP3
(Oben) Reaktionskette des intrazellulären Botenstoffes cAMP. Durch erregende oder hemmende externe Signale wird über GTP und die Stimulation von AC cAMP gebildet, welches über A-Kinase und den Katalysator C die Phosphorylierung von intrazellulären Proteinen katalysiert und die Wirkung hervorruft. (Unten) Reaktionskette von IP3. Über ein G-Protein, Phospholipase C (PLC) und IP3 wird Ca2+ freigesetzt. Über ein P-Protein wird C-Kinase aktiviert, diese phosphoryliert Funktionsproteine und übermittelt die spezifische Wirkung des Rezeptors R. (Grün markiert sind Antagonisten)

Insgesamt sind 12 verschiedene Subtypen von 5-HT-Rezeptoren bekannt. Sie sind bis auf den 5-HT3- Rezeptor vom Typ der 7-TM-Rezeptoren ) und weisen Kopplungen zu G-Proteinen auf, der 5-HT3-Subtyp ist dahingegen ein Ligand-gesteuerter Ionenkanal.

In der ersten und wichtigsten Gruppe 5-HT1 kennt man derzeit 5 Subtypen, es handelt sich um die Rezeptoren der Typen 5-HT1A, 5-HT1B, 5-HT1D, 5-HT1E und 5-HT1F. Der früher als 5-HT1C bezeichnete Rezeptor wird aufgrund größerer Ähnlichkeiten zu den 5-HT2-Rezeptoren gezählt und als 5-HT2C bezeichnet. Die 5-HT1-Rezeptoren sind Proteine mit 365 bis 422 Aminosäuren.

Über die Rezeptoren 5-HT1A und 5-HT1B/D sind die meisten Eigenschaften bekannt, da für sie schon lange potente und hochspezifische Liganden zur Verfügung stehen. Aufgrund von Unterscheidungen in kleinen Teilen der Aminosäuresequenzen der transmembranären Einheiten (Mikrodomänen) lassen sich die 5-HT1-Rezeptoren gut klassifizieren und unterscheiden, dabei weisen 5-HT1B und 5-HT1D ebenso wie 5-HT1E und 5-HT1F untereinander größere Ähnlichkeiten auf als zu dem 5-HT1A-Rezeptor. Für die Bindung des Wirkstoffes Serotonin (5-HT) sind die äußersten (extrazellulären) Teile der Mikrodomänen 3-7 verantwortlich.

Die 5-HT1-Rezeptoren geben das Signal ihrer Ligandbindung als eine Verminderung der Konzentration ihres Second-Messengers cAMP weiter und hemmen bzw. aktivieren vorhandene Enzyme oder aktivieren – mit geringerer Effektivität – das Enzym Phospholipase C und bewirken eine Freisetzung von IP3 und DAG und damit eine Aktivierung von Protein-Kinase C und eine Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration (Details siehe Abbildung).

Untertypen des G-Proteins (Gia) sind in der Lage, K+-Kanäle direkt zu aktivieren, gleichzeitig sind G-Proteine in der Lage, die Affinität der 5-HT1A-Rezeptoren zum Wirkstoff zu ändern. Im Normalzustand befinden sich die 5-HT1A/B-Rezeptoren in einem Zustand niedriger Affinität, durch Kopplung verschiedener Subtypen von G-Proteinen lassen sich in einen Zustand hoher Affinität überführen.

(B.2.iii) Lokationen der verschiedenen 5-HT-Rezeptoren

 

Serotoninerge Neuronenverbände im Gehirn
Serotoninerge Neuronenverbände im Gehirn

Der 5-HT1A-Rezeptor ist besonders häufig in den nuclei raphé des Hirnstammes vorhanden. Der 5-HT1B-Rezeptor findet sich besonders häufig in Regionen des Cerebellums, der verwandte 5-HT1D-Rezeptor in wesentlich geringerer Konzentration in vielen Gehirnteilen. Im Hippocampus lassen sich Rezeptoren des Typs 5-HT1A, 5-HT1B, 5-HT1E und 5-HT1F finden, die 5-HT1E Rezeptoren jedoch auch in größerer Menge im nucleus caudatus. Weitere Rezeptoren finden sich im Thalamus, Hypothalamus und im Septum, ebenfalls lassen sich Rezeptoren an den Pyramidenzellen des präfrontalen Cortex ausmachen.

In den nuclei raphé liegt der 5-HT1A-Rezeptor als somatodendritischer Autorezeptor und im Hippocampus als postsynaptischer Rezeptor auf den Zielzellen vor.

(IV.C) Wirkstellen von Serotonin

Die oben genannten (und fett gedruckten) Zielorgane des Serotonins werden hier zuerst in ihrer Anatomie, Bedeutung und Funktion beschrieben, dann wird der Einfluss der Serotonin-Rezeptoren auf die jeweiligen Abschnitte des Gehirns kurz dargestellt. Hier wird ausschließlich die Wirkung von Serotonin behandelt, dennoch sind die folgenden Beschreibungen von großer Bedeutung für das Verstehen der Wirkmechanismen von LSD.

(C.1) Der Hirnstamm

Hirnstamm von links und etwas dorsal
Hirnstamm von links und etwas dorsal

(C.1.i) Anatomie und Bedeutung

Ein Mmit Serotonin-Rezeptoren angereichertere Bereiche des Hirnstammes sind die Raphé-Kerne (nuclei raphé), die sich in der Formatio reticularis befinden. Dieser Abschnitt des Hirnstammes befindet sich im verlängerten Rückenmark (Medulla oblongata) und im Brückenhirn (Pons). Die Projektionen dieser Sektion des Zentralnervensystems erstrecken sich in das gesamte Gehirn.

Dieer Bereich der Formatio reticularis in der Medulla oblongata ist bildet das Kreislaufzentrum des menschlichen Organismus. Es ist verantwortlich für Blutdruck, Herzschlag und Atmung.

Serotonin kommt vor allem in den Raphe-Kernen (nuclei raphé) vor, diese sind lokalisiert in der Formatio reticularis des Brückenhirns (pons) im Hirnstamm. Ebenso wichtig ist Dder Bereich der Formatio reticularis in der Pons ist für den Zustand des Wachens und Schlafens von großer Bedeutung. Zwar sind gehen die primären Prozesse des Wachzustandes ausgehend vom Cortex und dem Mesencephalon aus, jedoch wird der Formatio reticularis die Aussendung der Impulse zugeschrieben, die für den Wachzustand das notwenige, grundlegende Erregungsniveau erzeugen. Dabei spricht man vom aufsteigenden, retikulären, aktivierendem System (ARAS)).. Größere Fluktuationen in der Menge der aAktivierungenden Impulse werden für den Übergang des Schlaf- und Wachzustandes verantwortlich gemacht, kleinere Fluktuationen während des Wachzustandes werden für subtilen Verhaltensänderungen während des Wachzustandes (z.B. dem Grad der Aufmerksamkeit) werden kleinere Fluktuationen im ARAS zugeschrieben. Die dafür verantwortlichen Neuronen haben baumartig verzweigte Fortsätze und enden mit jeweils ca. 500.000 Synapsen im Cortex. Durch diese Neurone wird der Cortex ständig mit einer bestimmten Menge Serotonin angeregt. Im Stadium des REM-Schlafes ist die Frequenz der Serotonin-Freisetzung in der Messung mit Hilfe des EEG nahe null, bei a-Wellenaktivität im Wachzustand liegt sie bei 3-5 Hz, bei b-Wellenaktivität bei 5-7 Hz. Die Amplitude hängt von der Menge des freigesetzten Serotonins ab.

Die 5-HT1A-Autorezeptoren am Soma und an den Dendriten der Neuronen in den nuclei raphé modulieren die Entladungsfrequenz, während die 5-HT1B/D-Autorezeptoren die Menge des freigesetzten Serotonins regulieren.

Eine weitere wichtige Rolle spielt die Verbindung nahezu aller Sinnesorgane mit dem Hirnstamm. So verlaufen die Nervenstränge der Augen, Ohren (nur Gleichgewichtsorgane), Zunge und der weit verteilten Hautrezeptoren sowie der Rezeptoren in den inneren Organen über den Hirnstamm. Danach gelangen sie zu den Thalamuskernen, wo sie verschaltet und zum sensorischen Cortex projiziert werden.

Kerne der Hirnnerven und primären Sehzentren
Kerne der Hirnnerven und der primären Sehzentren. Sensible Endkerne blau, motorische Ursprungskerne rot, parasympatische Ursprungskerne gelb, sensorische Endkerne für Sehen, Hören und Gleichgewicht blau punktiert. Die motorischen und parasympatischen Ursprungskerne sind links, die sensiblen und sensorischen Endkerne rechts dargestellt

Alle Bahnen verlaufen dichtgedrängt zwischen dem Linsenkern (nucleus lentiformis), den sich ausbreitenden Kerngebieten des Thalamus und dem nucleus caudatus. Die Gesamtheit dieser Fasern bildet die innere Kapsel, Capsula interna. Die einzelnen afferenten (aufsteigenden) Nervenstränge werden über diesen durch das Stammhirn gebildeten "Engpass" durch das Zwischenhirn auf den Cortex weitergeleitet. Gleichzeitig durchlaufen alle motorischen absteigenden (efferenten) Nervenbahnen diesen Pass. Die schon erwähnten nuclei raphé und die Formatio reticularis befinden sich in direkter Nachbarschaft zum nucleus caudatus.

(C.1.ii) Bedeutung von Serotonin im Hirnstamm

Deutlich wird die Rolle von Serotonin bei einer Vergiftung der Serotonin-Synthese. Diese Erschöpfung führt zu Schlaflosigkeit und zum Rückgang des REM- und NREM-Schlafes. Ähnlich wirkt die Zerstörung der nuclei raphé. Werden die, eine große Menge an Noradrenalin enthaltenen Loci coerulei zerstört, sie enthalten eine große Menge an Noradrenalin, fällt der komplette REM-Schlaf aus, Einflüsse auf den NREM-Schlaf sind dadurch jedoch nicht gegeben. Diese Ergebnisse zeigen, dass Noradrenalin für das Stadium des REM-Schlafes und Serotonin für das Stadium des NREM-Schlafes verantwortlich ist.

(C.1.iii) Wirkung von Serotonin auf die serotoninergen Neuronen des Hirnstamms

Neuronen der nuclei raphé mit Serotonin-Rezeptoren 5-HT1A (serotoninerge Neuronen) werden durch Applikation von Serotonin auf ihre Zellkörperregion inhibitiert (somatodendritischer Autorezeptor), sie bewirken eine Öffnung der K+-Ionenkanäle (Hyperpolarisation), blockieren Ca2+-Kanäle und vermindern den Membranwiderstand.

Übersicht über das somatosensorische System
Übersicht über das somatosensorische System. Rot: lemniscale Bahnen, schwarz: extralemniscale Bahnen. Pfeile symbolisieren Somatotopie. FR: Formatio reticularis; VB, M: Kerne des Thalamus; SI, SII: Projektionsfelder des Cortex; II,III,IV: Afferenzen der Gruppen II,III,IV aus Haut und Viscera.

(C.2) Der Thalamus und die somato-viscerale Sensibilität

(C.2.i) Anatomie und Bedeutung

Der Thalamus befindet sich im Diencephalon oberhalb des Hypothalamus. Seine Bestandteile können in vier Klassen eingeteilt werden, in die spezifischen Relaiskerne der Sinnesorgane Auge, Ohr und Haut, die unspezifischen Kerngruppen, die motorischen Kerne und die Assoziationsgebiete, in denen Informationen aus mehreren Sinnesorganen zusammenlaufen. Die aus dem Hirnstamm kommenden Nervenverbindungen der Sinnesorgane laufen im Thalamus zusammen und werden auf die entsprechenden Areas des sensorischen Cortex projiziert.

Bei der Weiterleitung der Information gibt es aus entwicklungsgeschichtlichen Gründen zwei unterschiedliche Bereiche: das lemniscale (spezifische) und extralemniscale System. Sie unterscheiden sich durch ihre Verschaltungen und ihre Funktion; das lemniscale System überträgt motorische und sensorische Informationen, das extralemniscale System Informationen der Hautsensoren. Dabei spielt der Thalamus bei der Weiterleitung der Information beider Systeme eine entscheidende Rolle.

(C.3) Der Hypothalamus

(C.3.i) Anatomie und Bedeutung

Ebenfalls im Hypothalamus befinden sich Serotonin-Rezeptoren, dieser ist als Teil des Zwischenhirns das Zentrum aller vegetativen und hormonalen Prozesse des Organismus. Der Hypothalamus bildet nicht eine nicht scharf abgegrenzte Region, sondern ist als Teil eines Kontinuums die Verlängerung der Formatio reticularis und wird in die mediale, laterale, vordere und hintere Region unterteilt.

Lage und Verbindungen des Hypothalamus
(Links) Lage des Hypothalamus im Gehirn (gelb). (Rechts) Afferente und efferente neuronale und humorale Verbindungen des Hypothalamus

Der laterale Hypothalamus ist mit dem oberen Hirnstamm und dem limbischen System verbunden. Seine Verbindungen zu den vegetativen und somatischen Regionen laufen über Bahnen der Formatio reticularis. Die zahlreichen Verbindungen zeigen, dass der Hypothalamus ein wichtiges Zentrum für die Integration von vegetativen, somatischen und hormonellen Funktionen darstellt.

Der ventrale Bereich der medialen Region (Eminentia mediana) ist besonders reich an Zellen, aus dieser Region entspringt auch der Hypophysenstiel. Der mediale Hypothalamus ist weniger stark mit anderen Regionen des Hirnes verbunden, er misst die Temperatur des Blutes, die Salzkonzentration des Gewebes und die Konzentration endokriner Hormone im Blut und erhält weitere Informationen über das innere Milieu des Organismus. Durch ihn wird hormonell die Hormonausschüttung der Hypophyse gesteuert. Die Steuerung wird vor allem durch die teils erregend und teils hemmend wirkenden, aminergen Hormone Noradrenalin, Dopamin und Serotonin bewirkt.

Der gesamte Hypothalamus hat einen starken Einfluss auf die übergeordnete Regelung des Systems von Herzen und Kreislauf. Die eigentliche Bedeutung dieser Regelung wird erst durch Betrachtung von anderen Reaktionen des Organismus auf Reizungen des Hypothalamus deutlich; diese Reaktionen bilden Fragmente von homöostatischen Prozessen und/oder Verhaltensweisen. Eine besondere Bedeutung trägt der Hypothalamus bei den Verhaltensweisen, die der Selbsterhaltung des Individuums und der Art dienen. Flucht-, Angriffs und Abwehrverhalten werden durch die Wirkung des Hypothalamus induziert. Neben den vegetativen und somatischen Reaktionen sind auch hormonelle Funktionen die Ausschüttung von Catecholaminen an der Entstehung des Verhaltens beteiligt.

Ebenfalls sind die Sinnesorgane (Sehen, Hören, Gleichgewicht) mit der Formatio reticularis verbunden, bevor die Erregungen auf den Cortex weitergeleitet werden. , Ohn, ,, durch das Stammhirn gebildeten durch So werden die Bewegungen der Augen (Blickmotorik) über den Formatio reticularis kontrolliert. Ebenso werden dort die Eindrücke des Auges mit den Informationen der Vestibulariskerne verrechnet, um bei veränderter Kopflage die Augenstellung reflektorisch zu justieren. Die Vestibulariskerne haben direkte Verschaltungen zum Hypothalamus und dem Formatio reticularis. Ebenso die Gehörnerven laufen über den Formatio reticularis zum Cortex. Die schon erwähnten nuclei raphé und der Formatio reticularis befinden sich in direkter Nachbarschaft zu dem nucleus caudatus.

(C.3.ii) Wirkung von Serotonin auf den Hypothalamus

Ebenso wie im Hirnstamm wirkt Serotonin im Hypothalamus hemmend, da es die serotoninergen Neuronen hyperpolarisiert und Ca2+-Kanäle blockiert.

(C.4) Der Hippocampus (Formatio Hippocampi) und das limbische System

Das limbische System
Das limbische System, gepunktet markiert ist die Abgrenzung zum Hypothalamus.

Der Hippocampus ist Teil des limbischen Systems des Gehirns. Der Begriff "limbisches System" wird von der kreisförmigen Anordnung der zu dem System gehörenden Abschnitte des Gehirns hergeleitet. Es umgibt den Hirnstamm und lässt sich in den phylogenetisch älteren inneren und den jüngeren äußeren Ring unterteilen. Die Formatio Hippocampi gehört zum inneren Ring des limbischen Systems. Sie ist verbunden mit dem Septum und dem Hypothalamus, dieser ist der Kontrolle des limbischen Systems unterworfen. Das Septum (nuclei septi) ist ebenfalls als Teil des limbischen Systems anzusehen.

Aufgrund der hochgradig komplexen neuronalen Strukturen ist eine genaue, eindeutige Aussage über die Funktion des limbischen Systems und dem Hippocampus nur schwer zu formulieren. Um seine Bedeutung zu bestimmen, muss neben dem limbischen System das gesamte Gehirn in die Betrachtungen mit einbezogen werden.

Das limbische System hat scheinbar einen starken Einfluss auf das Verhalten des Organismus, da es einerseits mit der Großhirnrinde und damit den Sinnesorganen und andererseits mit dem Gedächtnis und den motorischen Steuermechanismen in Verbindung steht. Die Integration von äußeren Reizen, inneren Zuständen und Erfahrungen passt die instinktiven Verhaltensweisen des Hypothalamus an die momentanen Bedürfnisse des Organismus an. Es ist darüber hinaus für artspezifisches Verhalten verantwortlich, auch wird dem limbischen System eine wichtige Rolle bei der Formung von Emotionen zugeschrieben. Dabei ändern sich einerseits innere Parameter wie Herzfrequenz, Blutdruck sowie Hautwiderstand und andererseits das Verhalten des Organismus. Nach einem genauen Ort der Emotionen im Zentralnervensystem, sozusagen nach der neuronalen Substanz der Emotionen wurde vergeblich gesucht, jedoch wird für die Erzeugung von Emotionen ein Neuronenkreis im limbischen System angenommen, der den Hippocampus, den Corpus mammilare, den vorderen Thalamus und den Gyrus cinguli umfasst.

Insbesondere wird dem Hippocampus eine wichtige Rolle bei der Aufnahme und dem Abruf von Gedächtnisinhalten zugeschrieben, eine Zerstörung des Hippocampus führt zu anterograder Amnesie, neu erlerntes ist nicht dauerhaft speicherbar oder zugriffsbereit. Es lassen sich keine Informationen vom Kurzzeitgedächtnis (Primären Gedächtnis) in das Langzeitgedächtnis (Sekundären Gedächtnis) übertragen. Der Hippocampus scheint für die Umcodierung und Übertragung der Informationen bei diesem Schritt eine entscheidende Rolle zu spielen.

(C.4.i) Bedeutung von Serotonin im Hippocampus

Die Pyramidenzellen des Hippocampus weisen eine hohe Zahl an 5-HT1A-Rezeptoren auf, hier wirkt Serotonin inhibitorisch durch Öffnung der K+-Ionenkanäle. Es wirkt darüber hinaus in anderen Teilen des Hippocampus exzitatorisch (Abnahme der IPSP durch K+-Kanalöffnung) sowie inhibitorisch (Abnahme der EPSP durch Reduktion des Ca2+-Einstroms) .

Schematische Darstellung der lateralen Oberfläche des Gehirnes
Schematische Darstellung der lateralen Oberfläche des Gehirnes mit primären und sekundären sensorischen und motorischen Bereichen sowie den drei Assoziationscortices

(C.5) Der präfrontale Cortex (Lobus frontalis)

(C.5.i) Anatomie und Bedeutung

Der präfrontale Cortex ist ein Teil des Stirnhirns und umfasst die Areas 9-12 sowie 13 und 14. Diese Areas sind allesamt unspezifisch. Sie sind unter anderem verbunden mit dem Nucleus medialis dorsalis (einem unspezifischen Thalamuskern), dem limbischen System (Hippocampus) und dem Hypothalamus. Der präfrontale Cortex wird auch als neocorticaler Teil des limbischen Systems angesehen. Aufgrund seiner Verbindungen zum limbischen System wird er für die erlernte Kontrolle des angeborenen Verhaltens verantwortlich gemacht. Bei Läsionen des Stirnhirns zeigt sich kein Verlust der Intelligenz, jedoch aber eine Veränderung des Verhaltens bzw. der Persönlichkeit in die Richtung der Ungehemmtheit, Taktlosigkeit, Aggression oder dem Fehlen von festen Absichten oder planender Vorausschau. Betroffene haben Schwierigkeiten ihr Verhalten zu ändern, obwohl das unter gegebenen Umständen absolut notwendig wäre, so als würden bei der Konkurrenz von internen und externen Motivationen die internen überwiegen.

(C.5.ii) Wirkung von Serotonin im präfrontalen Cortex

Serotonin wirkt im präfrontalen Cortex exzitatorisch oder inhibitorisch, was durch die Interaktion von verschiedenen 5-HT-Rezeptorsubtypen hervorgerufen wird.

(C.6.) Bedeutung des serotoninergen Systems

Organ

Funktion

5-HT-Rezeptor-subtypen

Hirnstamm

ARAS, Filter der Sinneswahrnehmungen, Kreislaufzentrum

1A, 2

Thalamus

Sinneswahrnehmung, Weiterleitung

1A, 1B, 2

Hypothalamus

vegetative, hormonelle Prozesse

1A, 1B

Hippocampus (limbisches System)

Erinnerung, Assoziationen, Gedächtnis

1A, 1B, 1E, 1F, 2

präfrontaler Cortex

komplexes Verhalten, Sozialverhalten

1A, 1B, 1E,1F, 2

(Tabelle -1) Zusammenfassung: Das serotoninerge System

Das serotoninerge System besitzt eine große physiologische und pathologische Bedeutung. Es gilt als sicher, dass einige Unterarten von psychologischen bzw. neurologischen Erkrankungen auf eine Fehlfunktion dieses Systems zurückzuführen sind. Diese Erkrankungen sind

Hier wird deutlich, wie schwierig es ist, von Fragmenten auf das Gesamtbild zu schließen. Zwar wissen wir, wo und wie Serotonin auf die Neuronen des serotoninergen Systems wirkt, dennoch lassen sich nicht ohne weiteres Parallelen zu den genannten psychischen Krankheiten ziehen.


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